FALTER-Interview mit Liger. Der Artikel dazu erschien in Ausgabe14/2009.
SEBASTIAN FASTHUBER: Da sind einige recht bittere Einträge von dir auf euer Website. Ein paar Monate nach der
Album-VÖ ist schon Frustration eingetreten?
DINO SPILUTTINI: Ja, ich muss schon zugeben dass ich manchmal den Eindruck hab, dass sich das Verhältnis von investierter Arbeit/Leidenschaft zu dem Pech und den Rückschlägen immer mehr zu unseren Ungunsten entwickelt.
Aber zumindest bei mir kann man noch nicht wirklich von Frustration reden. Der jugendliche Traum von der Rockstar-Karriere hat sich ja schon längst in eine realistischere Einschätzung der Dinge entwickelt.
Prinzipiell bin ich äusserst dankbar, dass ich überhaupt irgendwas mit so einer Leidenschaft machen kann, dass ich mich von jeglichem anerzogenen Sicherheitsgefühl abkoppeln und die Musik zu meinem Lebensinhalt machen kann, und dass noch dazu sogar einige Leute diese Musik auch hören wollen bzw. sogar sehr zu schätzen wissen.
Aber es ist schon auffallend, dass wir uns jeden noch so kleinen Erfolg so hart erkämpfen müssen.
Frust kommt eventuell dann auf, wenn man sieht wie es anderen österreichischen Musikern geht, die vom ersten selbstkomponierten Song an grosse Unterstützung von aussen bekommen, sei es jetzt durch Booking-Agenturen, grössere Labels oder Medienvertreter bzw. Meinungsmacher.
Und weil das grad so komisch klingt: ich spreche hier bewusst von Frust und nicht von Neid. Ich vergönne ja jedem seinen Erfolg, wenn ich ihn denn künstlerisch oder kulturell nachvollziehen kann. Die negativen Gefühle beziehen sich eigentlich immer gegen uns selbst. Was haben wir nur getan, dass uns niemand hilft?
Wir machen ja inzwischen ALLES selbst. Sogar das Booking. Verzweiflung bezüglich mangelnder Unterstützung verleiht manchmal übermenschliche Kräfte :)
Jegliche Versuche, gewisse - von der Kreativität abgekoppelte - Bereiche an fähigere Leute abzugeben (grössere Labels, Vertriebe, Booker, Manager) waren bisher kaum fruchtbar bzw. sind gescheitert.
Die positive Seite ist, dass wir uns alles alleine erarbeitet haben, ohne jeglichen Fremdeinfluss. Das ist schon auch befriedigend. Und äusserst lehrreich.
Dass wir den eventuell inzwischen aufgestauten Frust jetzt so nach aussen tragen finde ich im Nachhinein eigentlich eher problematisch. Die Blog-Einträge waren eher spontan und unreflektiert. Die Wahrung einer grossen Distanz zum Publikum bzw. das Erhalten des Künstlermythos in Form von Intransparenz und Verschweigen des eigenen Scheiterns liegt mir zwar auch sehr fern, aber ich will auch auf keinen Fall dein Eindruck erwecken dass wir frustrierte Verlierer sind. Deine Frage stimmt mich diesbezüglich ja schon mal nachdenklich... :)
Waren die Erwartungen zu hoch? Ihr habt sehr viel Liebe, Arbeit, Zeit und wohl auch Geld
in die Platte reingesteckt. Die Rezeption war aber nicht so, wie ihr euch das erhofft
habt?
Die Arbeit am Album und die Zeit seither fällt lässt sich eindeutig als selbstausbeuterisch bezeichnen. Zum Beispiel hab ich dafür mein Studium geschmissen und einen Traumjob nicht angenommen, bin Tag und Nacht nur mehr mit der Platte beschäftigt gewesen. Insofern müssen die Erwartungen schon relativ hoch gewesen sein. Zumindest für mich waren sie hoch genug, um automatisch eine gewisse "No Future"-Haltung einzunehmen: ich mach das Ding jetzt fertig, und wenn es das letzte ist was ich tu. Alles auf eine Karte setzen, auch alle Ersparnisse, und sich einfach mal nicht drum kümmern wie es danach weitergeht.
Dass man danach nur enttäuscht werden kann liegt ja irgendwie auf der Hand. Die Erwartungen waren zwar sehr unkonkret, also nicht in Form von Verkaufszahlen o.ä., aber wir haben unserem Album schon eine gewisse Relevanz zugetraut. Immerhin hatten wir eine ewige kreative Durststrecke hinter uns, und auf einmal war da dieser enorme Energieschub. Dieses es-geht-ja-doch war unserem Selbstvertrauen und der Selbsteinschätzung schon sehr zuträglich. "Wir erschaffen gerade etwas ganz besonderes!" und so...
Mit 24 hatte ich so ein lächerliches Lebensziel: in 2 Jahren nimmst du ein tolles Album auf, mit dem du zu 100 Prozent zufrieden bist, und das ästhetisch und inhaltlich all das bietet was dir vorschwebt. Das ist natürlich nicht zu erfüllen, sobald man etwas selbstkritischer ist.
Aber so ab der Mitte der Arbeiten an "Crash Symbols" wurde mir klar: ich bin meinem Ziel so nah! Ich hatte mich selbst, den wahrscheinlich stärksten Kritiker, überzeugt, und somit natürlich auch die Hoffnung dass die Musik dann auch vielen anderen gefallen wird.
Die Rezeption war dann auch durchaus so wie erhofft. Die Kritiken - zumindest die die ich kenne - sind alle positiv, manche sogar euphorisch. Negative, oder noch schlimmer: mittelmässige Rezensionen sind mir noch keine untergekommen.
Leider sind es aber nur relativ wenige Rezensionen. Das war für mich schon enttäuschend. Vor allem: wenn die Platte gewissen Redaktionen nicht gefällt, warum werden wir dann nicht kritisiert? Ich hätte lieber eine kritische Auseinandersetzung im Skug oder Standard als dieses wurschtige Totschweigen.
Gerade wird wieder mal Österreich als Musikland diskutiert, und warum im Radio wenig
österreichische Musik läuft. Ihr macht Musik, die international orientiert ist.
Labeltechnisch geht z.B in USA aber nichts weiter. Woran liegt das?
Das ist irgendwie eine Grube die wir uns selbst gegraben haben. Wir haben eigentlich nur an relativ bis ganz grosse Labels CDs verschickt. Auf Kleinlabels können wir ja verzichten. Sowas hab ich ja schon selber :)
Wenn dann zb Fat Cat schreibt dass sie leider nichts für uns machen können, dann war das auch irgendwie abzusehen.
Allgemein kann man dazu sagen, dass sich Labels und vor allem Vertriebe einfach nichts mehr trauen. Zu viele sind in letzter Zeit bankrott gegangen, keiner will der nächste sein. Dass Bands wie wir, die sich nicht besonders am Mainstream orientieren, da dann besonders drunter leiden ist verständlich.
Anfragen von kleinen amerikanischen Labels bekommen wir aber tatsächlich ab und an. Eine wirkliche Zusammenarbeit ergibt sich daraus zwar nie, denn immerhin haben wir ja wie gesagt selber schon ein gleich"mächtiges" Label, aber erstens ehrt uns das natürlich und zweitens weiss man ja nie was einem solche Bekanntschaften mal bringen können.
Gehen wir ein paar Schritte zurück. Ich kenne Liger, seitdem du mir damals die EP
geschickt hast. Da hat man dieses unbedingte Wollen schon gemerkt. Bis das Album dann
fertig war, hat es für mein Gefühl sehr lang gedauert. Wie ist die Platte entstanden?
Wir haben quasi gleich nach Fertigstellung der EP, also im Herbst 2006, mit den Arbeiten am Album begonnen. Darauf sind fast 2 äusserst frustrierende Jahre vergangen.
Ja, das Wollen war definitiv da. Leider war das Können noch in weiter Ferne.
Damals waren wir ja erst mehr oder weniger ein paar Wochen als Band bzw Duo zusammen. Völlig ungeformt. Sinn- und Stilsuchend.
Zuvor war ich jahrelang immer nur alleine musikalisch tätig, und auf einmal tun sich völlig neue Welten auf.
Überschäumende Visionen und Ambitionen im Kampf gegen kreative Unfähigkeit und totale Überforderung. Monatelang haben wir uns jeden Tag im Proberaum getroffen, diskutiert, Ideen aufgenommen, gelöscht. Am Ende hätten wir uns am liebsten gegenseitig die Köpfe eingeschlagen. Keine Ahnung mehr, wie wir überhaupt die EP geschafft haben. Das Gefühl kann ich jetzt jedenfalls schwer in Worte fassen. Es ging und geht mir bei Liger - tatsächlich, und nicht im künstlerisch-romantisch-verklärten Sinn - um Selbstausdruck. Das schreiben und spielen unserer Musik ist für mich, so blöd das jetzt klingt, ein Mittel zur Selbsttherapie und natürlich auch -verwirklichung. Selbst selbst selbst! Ich hab ständig den Sinn unserer Existenz infrage gestellt, noch dazu weil Gernot dann Zivildienst machen musste und wir nichtmal auf Tour gehen konnten. Besagtem Zivildienst ist dann auch unsere geplante und schon komplett gebuchte USA Tour zum Opfer gefallen. Das war dann glaub ich der Tiefpunkt.
In 2 Jahren ist insgesamt EIN neuer Song entstanden.
An den Zeitpunkt und Auslöser der Wende kann ich mich nicht mehr erinnern. Irgendwann im Frühling 2008 gings auf einmal steil bergauf. Keine Ahnung welche inneren Dämonen oder was auch immer ich da zuerst besiegen musste.
Der neue Schwung war dann natürlich einerseits sehr erleichternd, andererseits aber auch extrem anstrengend. Weil wir ja nicht auf irgendwelche Gitarre-Bass-Schlagzeug Legobausteine zurückgreifen können, stehen wir beim Komponieren natürlich sehr unter Druck. Natürlich wollen wir musikalisch etwas bieten, aber mein höchster Anspruch basiert immer noch auf einem emotionalen Zugang: so abgedroschen es klingt, aber ich muss den Song wirklich fühlen. Ich muss ihn verkörpern. Dabei kann ich mich nicht auf bewährte Klischees verlassen, oder etwa gängige Britpop-Riffs aus dem Ärmel schütteln. Ich als Individuum will von der Musik berührt werden, also muss ich von Grund auf eigene Zugänge finden. Und tief wühlen.
Das kann schon mal sehr anstrengend sein. Dazu kommt noch der Arbeitsaufwand. Wir haben über ein halbes Jahr jeden Tag bis zu 14 Stunden am Album gearbeitet. Gemeinsam und auch jeder für sich. Und gegen Ende der Aufnahmen hab ich dann noch täglich bis in die tiefste Nacht am Artwork gearbeitet.
Dabei hat mich immer das Gefühl begleitet: sowas grosses hast du noch nie in deinem Leben gemacht. Weder vom Standpunkt des Arbeitsaufwandes noch von der emotionalen Ergiebigkeit. Es war eine unglaubliche Euphorie, die dann am Ende leider von einer absoluten Erschöpfung abgelöst wurde.
Ich war kaputt. Und leer. Auf eine gute Art und Weise, aber leider etwas zu früh. Die beiden letzten Songs sind irgendwie nurmehr so nebenbei entstanden. Es ging einfach nicht mehr. Einer davon war der Song mit Gustav, die dann aber zum Glück so kooperativ, unkompliziert und schnell war, dass wir ihn in einer für alle Beteiligten äusserst befriedigenden Version fertigstellen konnten. "Me Protools You Jane" ist tatsächlich innerhalb von 3 Tagen geschrieben, aufgenommen und gemischt worden. Ich kanns selber nicht glauben.
Glücklicherweise haben wir uns dann entschieden, dass wir eine Menge Geld für einen "konkurrenzfähigen" Sound ausgeben wollen und können, und haben die CD zum Mischen und Mastern nach Berlin geschickt. Wenn ich das auch wieder selber gemacht hätte, dann wär ich wahrscheinlich noch verrückt geworden.
Wie funktioniert die Arbeitsteilung bei euch? Du schreibst die Texte, die Musik entsteht
gemeinsam?
Bei den Texten lass ich mir nicht reinreden. Immerhin muss ich sie dann ja auch singen bzw. interpretieren. Aber da gibts eh keine Diskussionen. Gernot scheint diesbezüglich nichts einzuwenden zu haben.
Bei der Musik schauts anders aus.
Den genauen Kompositionsvorgang kann ich jetzt gar nicht rekonstruieren. Das ist auch wirklich von Lied zu Lied sehr unterschiedlich.
Am schnellsten gehts eigentlich wenn ich etwas vorbereite. Sei es nur eine kleine Skizze oder auch mal ein komplettes Grundgerüst für einen Song.
Oft kommt auch Gernot mit am Computer komponierten Skizzen an. Aber bis auf wenige Ausnahmen haben wir davon noch nichts umsetzen können. Ich weiss nicht warum. Vielleicht bin ich einfach der durchsetzungsfähigere Diskussionspartner. Obwohl ich zumindest immer genau benennen kann, was mich an vorgeschlagenen Skizzen stört.
Das ist dann auch die heisse Phase: Diskutieren, diskutieren, diskutieren. Wir haben schon so manchen Song einfach totdiskutiert. Und dann wurde er gelöscht oder gammelt jetzt auf irgendeiner externen Festplatte rum.
Die Diskussionen sind aber enorm wichtig. Nicht weil wir besonders kopflastige Musik machen wollen. Im Gegenteil!
Aber es handelt sich bei Liger doch um zwei Personen mit ausgeprägten musikalischen Visionen, und unsere Kompromissfähigkeit wird oft auf die Probe gestellt. Ausserdem haben uns diese Diskussionen schon vor so mancher musikalischen Banalität gerettet.
Zuletzt lief es meistens so, dass ich fast komplette Songs alleine als Demo aufgenommen hab. Dann schick ich sie dem Gernot, und er komponiert feine kleine Melodien und mächtige Perkussionsmonster dazu. So ergänzen wir uns eigentlich im Moment ganz gut.
Manchmal beschreibe ich unser Verhältnis scherzhalber so: ich bin das Gehirn, und Gernot die Muskeln. Vielleicht stimmt das so ja auch irgendwie...
Jeder Song ist sehr individuell instrumentiert und arrangiert. Täusche ich mich - oder
haben die Songs in der Grundform möglicherweise konventioneller geklungen und wurden erst
durch das Ausarbeiten mehr "Kunst"?
Bis ein Song fertig ist, durchläuft er oft dutzende Versionen. Meistens dauerts Monate bis wir zu einem befriedigendem Ergebnis kommen. Wenn ein Lied schnell fertig wird, dann kommt mir das immer komisch vor. Verdächtig. Ich traue der Qualität des Songs dann nicht. Sehr seltsam. Das muss ich mir unbedingt abgewöhnen! Denn eigentlich schadet zuviel Arbeit und Herumgeschraube einem Lied im Endeffekt nur. Deswegen ist es meistens so, dass der grösste Teil der Zeit für das Reduzieren und wieder-weg-nehmen draufgeht.
Tatsächlich war es bei den meisten Songs am Album so:
Zuerst waren die meisten Lieder leicht bis schwer überambitioniert. Wir haben einfach viele Möglichkeiten und Instrumente und vor allem Ideen. Dann kam immer die Entschlackungsphase. Reduktion war ein essenzieller Bestandteil der Kompositionsarbeit. Der Pop-Appeal in unserer Musik ist mir schon sehr wichtig. Und auf keinen Fall sollte es ein Album werden, dass nur wir uns anhören können. Ich höre ja auch privat kaum E-Musik, und der Begriff "Kunst" leuchtet mir sowieso nicht ein. Meine eigene Definition dieses Wortes wurde durch 2 Kunststudien total zerschreddert, und jetzt muss mir das Wort erstmal wieder jemand erklären.
Die grosse Geste in manchen Arrangements kommt von Gernot, der so gut wie alle Streicherparts geschrieben hat. Diese Opulenz macht die besagte Reduktion vielleicht im ersten Moment nicht ganz klar hörbar, aber da wo jetzt Streicher und Bläser u.ä. sind, da waren vorher ganz viele ganz schreckliche Sachen. Ich glaube dass wir das so jetzt schon gut gelöst haben.
Wie würdet ihr überhaupt das Verhältnis zwischen Popsong und Kunstlied oder auch Bauch
und Kopf bei euch ansetzen?
Der Begriff "Kunstlied" im Zusammenhang mit Liger bzw. in unserem Presseinfo stammt von Rainer Krispel. Ich glaube auch dass nur er selber weiss, warum er das Wort überhaupt in unseren Kosmos eingeführt hat.
Kopf und Bauch sind in meinem Kompositionszugang nicht wirklich getrennt, und deshalb auch nicht in ein Verhältnis zueinander zu setzen. Ich gehe immer äusserst emotional an meine Musik ran. Das bedeutet aber nicht, dass ich dabei den Kopf ausschalten muss.
Oft muss ich mir erst mit intellektuellen Mitteln, d.h. durch bewusste Konstruktion die Musik an meine Gefühlslage anpassen.
Das einfach so aus dem Bauch heraus spielen kann ich nicht. Das endet bei mir in Banalitäten. Wenn ich mir die Gitarre greife und einfach so drauf los spiele, dann bin ich nicht ergriffen sondern im besten Falle einfach von mir gelangweilt, was dann im schlechtesten Falle wiederum zu milden Formen von Selbsthass führt.
Das lässt sich oft leider auch auf mein Leben übersetzen: ich bin einfach zu schwer aus der Fassung zu bringen. Eine gewisse ungesunde Abgestumpftheit lässt solche aus-dem-Bauch-Ausbrüche einfach nicht zu. Vielleicht muss ich auch deswegen textlich oft zu drastischeren Mitteln greifen, um überhaupt einen emotionalen Bezug zum Inhalt aufbauen zu können.
Vielleicht ist meine Emotionalität eine intellektuelle? Eine nur mühsam erarbeitete, aber dann letztlich doch eintretende.
Bei unserem Interview bei "Im Sumpf" hatten wir vor ca 2 Jahren ein ähnliches Gespräch. Damals gings um Authentizität, und im weiteren Verlauf eben auch um Bauch gegen Kopf. Mein Fazit war, dass Liger eine "konstruierte Authentizität" vertreten. Alles was wir machen basiert im höchsten Masse auf unseren Emotionen, und so wollen wir die Musik auch verstanden wissen, aber der eigene Zugang zu unseren Emotionen ist halt nicht so leicht und spontan zu erschliessen.
Könnte es sein, ihr überfordert viele Hörer? Musikalisch sind es letztlich doch sehr
konservative bis regressive Zeiten, wenn man sich die Musiklandschaft so ansieht.
Ja, leider scheinen wir viele Hörer zu überfordern. Mich wundert das ein bisschen. Immerhin sind wir meiner Meinung dann ja doch irgendwo im Indie/New Wave verwurzelt, zumindest sind die Zusammenhänge nicht unerkennbar. Ein bewusstes Elitedenken oder Ausgrenzen eines gewissen Publikums findet jedenfalls bei uns nicht statt. Aber ich muss mich, nur um weniger Leute zu überfordern, dann ja auch nicht verbiegen und deswegen "einfachere" Musik machen.
Der "Hörer" an sich hat es ja heutzutage nicht leicht. Der kostenlose Zugang zu praktisch jeder Musik der Welt hat das Angebot ja unüberschaubar gemacht. Wer soll denn da noch wissen was ihm gefällt? Dieses mangelnde Selbstbewusstsein im Musikgeschmack vieler Leute ist schon auffällig. Dann doch lieber Musik gut finden, die das Fernsehen und Radio auch gut findet, oder zumindest Musik, die sich an bewährte und im kollektiven popmusikhistorischen Gedächtnis verankerte Muster hält.
Aber wie gesagt: der Überforderungsfaktor unserer Musik leuchtet mir nicht ganz ein. Immerhin sind wir kein Death Metal. Und vor 10 Jahren war Blümchen in den Charts, die war doch musikalisch weitaus (über)fordernder als wir. 210BPM und Autotune!
Der wahre Grund der Überforderung ist wohl eher ein anderer. Diesbezüglich ist mir letzten Herbst endlich ein Licht aufgegangen. Ich hab in London mit jemandem über unsere Musik gesprochen, und dabei gings auch um diese Überforderung. Seine Anekdote dazu war, dass er daheim Liger immer sofort abschalten muss weil seine Frau sich beschwert: "Mach das aus! Das ist doch nicht auszuhalten, diese Emotionalität!"
Da hab ichs dann kapiert. Das musikalische ist vielleicht gar nicht so schlimm, eher tun sich die Leute mit dem Dramatischen, dem Emotionalen schwer.
Das hat mir dann auch ein Wiener Musikjournalist bestätigt, der für so ziemlich alle relevanten Magazine und Tageszeitungen schreibt, und dem ich natürlich auch eine CD von uns gegeben hab. Nach Wochen hatte er noch immer nichts über uns geschrieben. Seine Begründung: "Nein, schon das erste Lied zieht mich so runter, ich kann mir das nicht anhören!"
Das seh ich irgendwo ein. Aber ich bin zwiegespalten. Einerseits wollen wir ja äusserst emotionale Musik machen. Aber wir wollen ja die Leute berühren und nicht überfordern.
"There's No Brighter Light Than Mine" ist eines meiner Lieblingsstücke, dadurch hat sich
die Platte für mich geöffnet. Aus was für einem Gefühl heraus ist der Song entstanden?
Rein vom textlichen Zugang hebt sich der Song von den anderen ab. Das liegt daran, dass das Lied schon viel älter als die anderen ist, und ich es ursprünglich für ein anderes Projekt von mir geschrieben hab, das sich bewusst von Liger unterscheiden sollte. Der Text ist eher poetisch, metaphorisch und nicht so kalt und direkt wie die anderen, und spielt mit einer ironischen Brechung. Das ach so helle Licht das mich umscheint, und dann im Endeffekt dann doch eher das Feuer ist, das mich von innen verbrennt. Klingt jetzt so aufbereitet zugegebenermassen natürlich etwas profan.
Beim schreiben war das aber ein durchaus aktuelles Thema, und auch jetzt noch hab ich den Bezug dazu nicht verloren.
Das dem Song zugrunde liegende Gefühl ist totale Verzweiflung in der unglücklichen Kombination mit zur Resignation zwingender Erschöpfung. Eine unangenehme Situation. Genauer will ich da jetzt aber auch nicht darauf eingehen.
Die Texte sind teils sehr hart und schmerzvoll. Texten bedeutet für dich das Ausloten der
eigenen Abgründe?
Mein Ziel beim Texten ist immer, so direkt und ehrlich wie möglich zu sein. Dabei muss ich mich auch oft selbst austricksen. Prinzipiell hat man als Mensch ja meistens so eine Art Schutzfilter im Gehirn. Man neigt dazu, gewisse Sachen zu beschönigen. Eine Art Zensur zum Zwecke des Selbstschutzes.
Aber ich habe kein Interesse an oberflächlichen Umschreibungen wie "Leider kann ich dich nicht lieben. Es wäre zwar toll, aber es geht nicht. Ich bin dann mal weg, tschüs!" oder "Oh nein, sie ist weg, jetzt bin ich alleine".
Man muss da schon tiefer graben. Hinter- und eben Abgründe und deren Zusammenhänge mit der aktuellen Situation erforschen. Das ist natürlich unangenehm und grenzt an therapeutische Sitzungen.
Aber dieser kathartische Aspekt ist mir beim schreiben und späteren Singen sehr wichtig. Um das Interesse an meiner eigenen Musik nicht zu verlieren, muss ich nun mal eine Beziehung auf einer sehr persönlichen Ebene aufbauen. So persönlich wie möglich. Das führt dann, zumindest in meinem Fall, automatisch zu den eigenen Abgründen. Ich war da manchmal ja auch von mir selbst überrascht. Nein, erschrocken. Statt der ursprünglich angedachten Melancholie kamen da plötzlich destruktive und kalte Seiten meiner Persönlichkeit zum Vorschein, die mir zuvor nicht bewusst waren. Diese regelmässig wiederkehrende Depressivität mit Hang zur Verzweiflung war endlich greifbar, in Worte gefasst. Es war eine Erleichterung, aber andererseits auch eine totale Entblössung.
Das prinzipielle Vorhaben beim Texten war: Wenn ich am Tag nach der Fertigstellung des Albums von einem Auto überfahren werde, dann will ich wenigstens alles gesagt haben. Dadurch hab ich natürlich auch einige andere Leute adressiert. Aber ich wollte niemanden diffamieren, niemanden bloßstellen. Sämtliche Verweise auf 2. und 3. Personen sind so unkonkret, dass nur die betreffenden Menschen sich wiedererkennen werden.
Der Rest - ein Grossteil der Texte - bezieht sich sowieso auf bzw. gegen mich. Wenn sich jemand die Mühe machen würde, die Texte mal aufmerksam durchzugehen, dann wüsste er mehr über mich als es jemals ein Therapeut wissen wird. Aber das ist schon ok für mich. Jeglicher emotionaler Exhibitionismus liegt mir da fern, und es geht mir auch nicht darum, Mitleid zu erregen. Es ist alles dem obersten Ziel untergeordnet, möglichst persönliche und ehrliche Musik zu machen. Und da spielt der Inhalt natürlich eine grosse Rolle.
Im übrigen scheinen die Texte kaum jemandem aufzufallen. Ich kenne auch niemanden, der sich damit besonders auseinandergesetzt hätte. Insofern hält sich mein Schamgefühl in Grenzen. Mich wundert auch, dass in Rezensionen und Interviews die Texte so gut wie nie erwähnt werden. Liest die eigentlich IRGENDWER?
Da wären wir auch beim Problem, dass Texte einfach scheinbar keinen Stellenwert mehr haben. Den meisten Leuten ist die inhaltliche Ebene wohl egal, bzw. hält sich deren Anspruch daran in Grenzen. Wenn dann der Sänger einer heimischen Band mit Sätzen wie "let me drink away my broken heart" zum Sprachrohr seiner Generation gekürt wird, dann spricht das schon Bände bzw. wirft das ein nicht besonders gutes Licht auf seine Generation.
Andererseits bin ich froh dass ich nicht so bezeichnet werde. Sprachrohr meiner Generation? Das wünsche ich keiner Generation!
Verbunden mit deinem Vortrag steht das Ganze manchmal an der Kippe. Ich kann mir schon
vorstellen, dass sich mancher fragt: Ist das jetzt echter Schmerz, Pathos oder hampelt
der uns da vielleicht gar was vor? Könnt ihr das nachvollziehen?
Hm, teilweise kann ich das natürlich nachvollziehen. In einem Live-Review unseres letzten Konzerts in Berlin stand sogar irgendwas von "Theater". Die grosse Geste ist uns nicht fremd. Und die emotionale Überforderung kam eh schon vorher zur Sprache.
Diese Wahrnehmung widerspricht aber natürlich unserem "so ehrlich und direkt wie möglich"-Credo. Ich bin kein Schauspieler. Ich interpretiere ausschliesslich meine eigenen Gefühle, so bescheuert das jetzt auch klingen mag.
Natürlich kann das für manche Menschen befremdlich wirken. "Im Alltag bist du doch auch nicht so dramatisch, Dino. Kein Mensch ist so dramatisch!".
Klar. Aber im Alltag gehts ja auch meistens nicht darum, das Innerste nach Aussen zu kehren.
Kein Therapeut würde während einer Sitzung sagen: "Es geht ihnen also sehr schlecht? Und jetzt weinen sie auch noch? Das kaufe ich ihnen nicht ab! Als sie bei der Tür reinkamen waren sie doch ganz normal!"
Im Gegensatz dazu gibt es ja tatsächlich Leute, die während unseres Auftritts zu weinen beginnen. Zum Glück nehmen uns da viele auch sehr ernst und können diese kathartische Wirkung dann eventuell auch für sich selbst nutzen. Genau so stell ich mir das vor :)